ELECTRONIC COUNTERPOINT

15. Mai 2009 / Freitag / 20.30 h
Praxis Projektatelier Staab / Eigelstein 112 / Köln

Lucia Mense (Köln)
Blockflöten

Georg Hajdu, Marc Sabat, Sascha L. Lemke
Live-Elektronik

Kompositionen für Blockflöte und Live-Elektronik von Marc Sabat und Ulrich Krieger, Georg Hajdu, Manfred Stahnke und Sascha L. Lemke Klänge im Grenzbereich zwischen Geräusch und Ton, mikrotonale Harmonik, algorithmische Komposition treffen auf Echtzeit-Interaktion computer-gesteuerter Prozesse. Akustische Elektronik à la M. Sabat, G. Hajdu, M. Stahnke, U. Krieger und S. Lemke – oder auch zerfranste experimentelle Ränder der zeitgenössischen Popkultur. Die Ausführenden: eine Blockflötistin und fünf Laptops. Lucia Mense ist eine der renommiertesten Blockflötistinnen.

PROGRAMM
Der Kontrapunkt eines traditionellen Instruments wie der Blockflöte in der Verbindung mit Live-Elektronik macht den Reiz dieses Programms aus. In den Kompositionen werden (Gitarren-) Pedal-Effekte, Mehrspurtonband und Computer-generierte Prozesse verwendet.


Marc Sabat
Erbsen (2009) UA
für Bass-, Tenor-, Alt-, Sopran-,
Sopraninoblockflöte und Zuspielband

Sascha Lino Lemke
[Re: Re: Record a re:] (2009) UA
#1 for piccolo recorder & computer

Manfred Stahnke
ImpansionExpansion (2006)  
für Bass-/Tenorblockflöte
und Computer realtime recording

Sascha Lino Lemke
[Re: Re: Record a re:] (2009) UA
#2 for alto recorder & computer

Ulrich Krieger
Black Smoker (2009) UA
für Bass-/ Kontrabassblockflöte
und Live- Elektronik

Georg Hajdu
Tsunami (2007/08)  
für Altblockflöte und Live-Elektronik

Georg Hajdu – Tsunami (2008)
Tsunami setzt meine kompositorischen Bestrebungen fort, mathematisch-rationale Verfahren mit äußersten musikalischem Ausdruck zu verbinden. Dabei wurden zunächst Zahlenfolgen (meist aus den Produkten der Zahlen 3, 5, 7 und 11) generiert, die auf einem Algorithmus basieren, den Klarenz Barlow in den späten 70er-Jahren entwickelt hat. Diese zeichnen sich durch charakteristische Muster aus, die einen dramaturgischen Kontext bilden, nach dem sich die Form der Komposition orientiert. Die vierte der fünf Teile etwa besteht etwa aus einer triolischen Figuration, die sich ständig nach oben schraubt, bis sie quasi an eine Decke stößt. Die wellenartige Struktur ist auch Anlass für den Namen Tsunami, und damit gleichzeitig eine Erinnerung an eine der größten Katastrophen der Menschheit in jüngster Zeit. Die Funktion der Elektronik liegt in der Verdichtung des Klangs und somit in der Intensivierung der musikalischen Dramatik.

Sascha Lino Lemke – [Re: Re: Record a re:]
Trotz des olympischen, kaum aufzuhaltenden Strebens nach High Fidelity liegt für mich persönlich die eigentliche Faszination der elektronischen Medien weniger in der immer täuschend-genaueren Erzeugung realer oder illusionärer Räumlichkeiten. Was mich (be-)rührt, ist vielmehr nach wie vor ihr dokumentarischer Charakter. Niemals zuvor hat selbst der Durchschnittsmensch sein Leben durch eine solche Menge von Photos, Texten, Briefen (E-Mails), Musik, Filmen etc. so umfangreich und bequem für lange Zeit archivieren können, wie es heutzutage durch das digitale Zeitalter selbstverständlich ist. Trotz allem ist die Differenz zwischen „Wirklichkeit“ und Dokument nicht aufgehoben, auch ob sie wirklich kleiner geworden ist, bleibt zu hinterfragen. Nach wie vor bleibt auf jeden Fall der Akt des Erinnerns. In dem Theaterstück „Krapp‘s last tape“ führt Becket vor, wie Krapp nach dem Hineinhören in sein sorgfältig auf Tonband dokumentiertes Leben seinem Archiv eine vorgeblich letzte Tonbandaufnahme hinzufügt.  In [Re: Re: Record a re:] geht es u.a. darum, wie sich das Stück obsessiv darum bemüht, sich aus dem bereits Gespielten, das sich in das Gedächtnis des Rechners eingeschrieben hat, nochmals neu zu beschreiben, zu erklären, weiterzudenken. Die elektronischen Reproduktionen des Soloparts in Form von Remixes aus ständiger Wiederholung und Rekombination einzelner „Erinnerungen“ wiederum werden kommentiert, beantwortet, ergänzt und weitergeführt durch den Solisten. [Re: Re: Record a re:] ist geplant als vierteiliger Zyklus, deren Teile eng miteinander verknüpft sind und auf ein einziges, sich erweiterndes „Gedächtnis“ zurückgreifen. Am heutigen Abend werden die ersten zwei Hauptteile uraufgeführt. Nach und nach sollen die anderen Teile folgen, ev. auch installative Zwischenteile.

Manfred Stahnke – Impansion Expansion (2006)
Morton Feldman sagte einmal, sinngemäß, dass es inzwischen mehr auf die „Haltung“ ankomme als auf die Töne. OK das stimmt, denn wir hören nicht eigentlich „Töne“ wie Tonpunkte mit all ihren Beziehungen zu anderen „Tönen“, sondern wir hören quer, wie wir quer lesen, die Buchstaben nicht-wissend verbindend. Aber trotzdem muss der Komponist sehr sorgfältig in der Wahl seiner „Töne“ sein, damit die „Haltung“ herauskommt, die er wollte. Und das ist eben merkwürdig: Die Töne selbst sind die „Haltung“. Es gibt gar keine wirklich in Worten beschreibbare „Haltung“ jenseits der Summe aller Töne. Versuchen wir die „Haltung“ eines komplexen Wesens zu beschreiben: Wir könnten es nur durch die Schaffung eines neuen „Wesens“, welches – als Schriftstück – nur sehr lose verbunden wäre mit dem zu beschreibenden Wesen. Also: Hören wir „Impansion/Expansion“, „Einrollung/Ausdehnung“.

Ulrich Krieger – Black Smoker (2009)
Black Smoker (Schwarze Raucher) sind bis zu 400° Grad heiße hydrothermale Quellen am Grund der Tiefsee (2000 – 3000 m), die Schlote bilden. In dieser heißen, lichtlosen Umgebung unter hohem Druck existieren Tiefsee Biotope mit vielen, meist nur dort vorkommenden Arten.

Marc Sabat – Erbsen (2009)
Erbsen (2009) ist nach der immerwährend blühenden Gemüsepflanze benannt.
Jeder Satz verfolgt die Idee eines Barock-Tanzes und baut auf dem musikalischen Material des vorangegangenen Satzes auf. Die Spieler agieren als eine Art Consort. Die Stimmen bilden in ihrem Ganzen eine Art Klangfläche, keine Polyphonie. Die Melodien bilden Kontraste – des Registers, der Klangfarbe und der Artikulation. Verschiedene Versionen sind denkbar: ein Spieler, der eine Live-Stimme mit einem von ihm vorproduzierten Tonband spielt, auf den gleichen Instrumententypen: Bass, Tenor, Alt, Sopran und Sopranino (in Erinnerung an Orson Welles and the mirror maze in „The Lady from Shanghai“). Das Tonband kann von vier räumlich von einander getrennten Lautsprechern wiedergegeben werden. Eine andere Möglichkeit ist ein stereo pan mit dem Interpreten in der Mitte, eventuell hinter dem Publikum positioniert. Die Komposition kann ebenso live von fünf Spielern im Consort gespielt werden.

Mit freundlicher Unterstützung durch

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